Morbus Bowen

Dermatologie

Steckbrief

Der Morbus Bowen ist ein In-situ-Tumor des Plattenepithelkarzinoms und zeigt sich zumeist als erythematöse, teils schuppende, teils hyperkeratotische Plaque, die meist solitär und überwiegend im Kopf-Hals-Bereich sowie den Handrücken auftritt. Der größte Risikofaktor ist die chronische UV-Exposition, weshalb die Erkrankung mit steigendem Alter an Häufigkeit zunimmt. Bei Vorkommen im Genitalbereich werden häufig humane Papillomviren (HPV) nachgewiesen. Durch das erhöhte Entartungsrisiko in ein invasives Bowen-Karzinom – ein aggressiverer Subtyp des Plattenepithelkarzinoms – ist die vollständige operative Entfernung die Therapie der Wahl. Alternativ können topische Verfahren wie 5-FU oder PDT zum Einsatz kommen.

 

Definition

  • epitheliales In-situ-Karzinom, Übergang in invasives Bowen-Karzinom (Sonderform des Plattenepithelkarzinoms) möglich
  • zumeist erythematöse, langsam wachsende, teils hyperkeratotische schuppende Plaque
  • Lokalisation auf chronisch UV-exponierter Haut, insbesondere im Kopf-Hals-Bereich und auf der Dorsalseite der Hände, aber auch auf der Genitalschleimhaut möglich (Erythroplasie de Queyrat)
  • im Unterschied zur aktinischen Keratose keine Feldkanzerisierung, sondern eher Einzelläsionen, Mischform besteht als bowenoide aktinische Keratose

 

Epidemiologie

  • keine genauen Daten vorliegend
  • Zunahme der Häufigkeit der Erkrankung mit steigendem Alter
  • Zunahme der Häufigkeit der Erkrankung in den letzten Jahren bis Jahrzehnten durch UV-Exposition und gestiegene Lebenserwartung

 

Häufigkeit

  • Genaue Daten liegen nicht vor.

Altersgipfel

  • Belastbare Daten fehlen, es besteht eine deutliche Häufigkeitssteigerung mit zunehmendem Alter.

Geschlechtsverteilung

  • Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Prädisponierende Faktoren

    • kumulative chronische UV-Exposition
    • Hauttyp I und II nach Fitzpatrick
    • hohes Lebensalter
    • männliches Geschlecht
    • HPV-16 und -18 (v.a. im Genitalbereich)
    • chronische Arsenexposition (heute selten)

 

Ätiologie und Pathogenese

  • Entstehung durch chronische UV-Exposition
  • HPV-16 und -18 insbesondere in genitalen Läsionen nachgewiesen, auch andere Papillomaviren beschrieben
  • Früher galt die chronische Arsenexposition als klassischer Auslöser, heute ist dies eher selten.
  • Auch ionisierende Strahlung wird diskutiert, da z.B. bei Chirurgen und Radiologen besonders häufig einen Morbus Bowen an den Fingern gesehen wird.

       

      Symptomatik

      • Erythematöse, teils hyperkeratotische schuppige Plaques, raue Oberflächenbeschaffenheit, variables Erscheinungsbild (Abb. 356.1)
      • gelegentlich Juckreiz oder Dysästhesien, meist symptomlos für den Patienten
      • meist solitäre Läsion
      • Übergang in ein Bowen-Karzinom fließend, insbesondere wenn knotige Anteile hinzukommen
      • lokalisiert insbesondere auf Sonnenterassen der Haut (Kopf-Hals-Bereich, Handrücken und Unterarme), aber auch Stamm und genitale Läsionen möglich (s. Erythroplasie)
      • Sonderform besteht am Nagelbett bzw. Finger (dann oft Nagelwachstumsstörung)

       

      Klinisches Bild am rechten Zeigefinger© Hautklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Johannes Gutenberg Universität Mainz

      Abb. 356.1 Morbus Bowen.

      Klinisches Bild am rechten Zeigefinger.

      (Quelle: Hautklinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Johannes Gutenberg Universität Mainz)

       

      Diagnostik

      Diagnostisches Vorgehen

      • Nach Anamnese und klinischer Untersuchung kann die Verdachtsdiagnose meist gestellt werden.
      • Insbesondere chronisch-entzündliche Dermatosen, wie Psoriasis oder Ekzem, können aber die Diagnosestellung erschweren.
      • Bei unklarem klinischen Befund sollte zunächst eine Dermatoskopie durchgeführt werden.
      • Eine Probebiopsie zum Ausschluss eines invasiven Plattenepithelkarzinoms wird empfohlen.
      • Ein therapeutisches Nicht-Ansprechen auf entzündungshemmende Wirkstoffe kann diagnostisch relevant sein.

       

      Anamnese

      • Abfrage der Risikofaktoren
      • Sonnenschutz und Freizeitverhalten: Hobbys mit besonderer UV-Exposition?
      • Beginn der Symptomatik, Beschwerden? Regression oder Progression bemerkt?

       

      Körperliche Untersuchung
      • Inspektion und Palpation der suspekten Läsion
      • Ganzkörperuntersuchung, da das Auftreten von synchronen hellen Hauttumoren (AK, PEK, Basalzellkarzinomen) nicht selten und zur Abklärung entzündlicher Differenzialdiagnosen hilfreich ist (bei Ekzem oder Psoriasis sind weitere Herde am Körper häufig)

         

        Bildgebende Diagnostik

        Dermatoskopie

        • Die Dermatoskopie ist insbesondere bei unklaren Befunden und zur Abgrenzung zu anderen Differenzialdiagnosen hilfreich. Eine typische Gefäßzeichnung ist darstellbar. Es lassen sich Hyperkeratosen und eine typische straßenartige gewundene Gefäßzeichnung darstellen.

         

        Fotografie

        • Fotos sind sinnvoll zum Vergleich nach Therapie und zum Verlauf, insbesondere bei nicht operativen Therapieverfahren.

             

            Histologie, Zytologie und klinische Pathologie

            • Eine Histologie ist zur Abgrenzung eines invasiven Bowen-Karzinoms (PEK), bei unklarem klinischen Befund oder bei Therapieresistenz indiziert.
            • Je nach Ausmaß der Läsion eignen sich zur Gewinnung der histologischen Schnitte Stanz-, Inzisions- oder Exzisionsbiopsien. Bei der Shave-Biopsie sollte auf eine ausreichende Tiefe geachtet werden, da sonst die Abgrenzung zum PEK nicht möglich ist.
            • Histologisch zeigen sich folgende Befunde:
              • atypische Keratinozyten, die die komplette Epidermis durchsetzen
              • intakte Basalmembran (Abgrenzung zum PEK)
              • Verlängerung der Reteleisten und Akanthose sowie entzündliches Infiltrat in der Dermis, Adnexstrukturen betroffen (als Unterschied zur AK)

               

                Differenzialdiagnosen

                Tab. 356.1 Differenzialdiagnosen des Morbus Bowen.

                Differenzialdiagnose

                (absteigend sortiert nach klinischer Relevanz)

                Häufigkeit der Differenzialdiagnose im Hinblick auf das Krankheitsbild (häufig, gelegentlich, selten) richtungsweisende Diagnostik/Befunde/zusätzliche Leitsymptome Sicherung der Diagnose
                Psoriasis häufig spricht auf Steroid-Therapie an, mehrere Körperherde Histologie
                Ekzem (v.a. numuläres) häufig spricht auf Steroid-Therapie an, mehrere Körperherde Histologie
                aktinische Keratose (AK) häufig Übergang fließend, Lokalisation Histologie (Freibleiben der akralen Adnexstrukturen bei AK)
                Basalzellkarzinom gelegentlich klassischer Dermatoskopie-Befund Histologie
                Keratoakanthom gelegentlich schnelles Wachstum, zentraler Ulkus Histologie
                Plattenepithelkarzinom gelegentlich Übergang teils fließend Histologie
                Morbus Paget selten Lokalisation Histologie
                diskoider Lupus erythematodes selten spricht auf Steroid-Therapie an, meist mehrere Körperherde, direkter Zusammenhang mit UV-Strahlung Histologie, Fotoprovokation
                Tinea selten meist mehrere Körperherde, spricht auf Antimykotikum und Steroid an Mykologie, Histologie

                Therapie

                Therapeutisches Vorgehen

                • Die operative Exzision ist als Therapie der ersten Wahl mit dem Patienten zu diskutieren.
                • Gibt es Kontraindikationen oder lehnt der Patient die Operation ab, sind topische Verfahren abzuwägen. Eine nachfolgende engmaschige klinische Kontrolle ist notwendig.

                 

                Operative Therapie

                • Eine vollständige Exzision (R0) ist Goldstandard.
                • Aufgrund des Wachstumsmusters in die Tiefe entlang der Haarfollikel ist eine histologische Schnittrandkontrolle bzw. eine mikrografisch kontrollierte Chirurgie zur Vermeidung von Rezidiven empfehlenswert.

                 

                Fotodynamische Therapie

                • Bei der fotodynamischen Therapie wird zunächst ein Fotosensibilisator (Vorstufen von Protoporphyrin IX, [Methyl-]Aminolävulinat) aufgetragen, nach Einwirkung wird dieser mittels rotem Licht (konventionelle fotodynamische Therapie [PDT]) aktiviert und zerstört selektiv die atypischen Keratinozyten. Tageslicht-PDT ist aktuell nicht zugelassen.
                • Vorgehensweise:
                  • Abtragen der Hyperkeratosen
                  • Auftragen des (Methyl-)Aminolävulinats
                  • 3h Einwirkung unter Okklusion, Bestrahlung mit rotem Licht (ca. 630nm)
                  • Wiederholung der Therapie innerhalb von vier Wochen.
                • Nebenwirkungen:
                  • Schmerzen (z.T. sehr ausgeprägt, daher gute Analgesie sinnvoll)
                  • Rötung, Schwellung, Erosion im Verlauf möglich
                  • meist 14 Tage nach Therapie wieder komplett rückläufig

                 

                Kryochirurgie

                • Anwendung von flüssigem Stickstoff (–196° C):
                  • führt zur lokalen Zerstörung von Gewebe
                  • Kontakt- oder Sprayverfahren (nicht standardisiert)
                  • undifferenzierter Zelluntergang auch anderer umliegender (gesunder) Zellen
                  • gute Wirksamkeit nachgewiesen, jedoch teils hohe Rezidivraten
                  • schnelle und einfache Anwendung
                  • Nebenwirkungen: Schmerzen, Blasenbildung, Narbenbildung, Hypopigmentierung möglich

                 

                Laserverfahren

                • ablative Laserverfahren empfohlen: Erbium:YAG- oder CO2-Laser
                • schnelles und effektives Verfahren, keine Leistung der GKV

                 

                Topisch-medikamentöse Verfahren

                • 5-Fluorouracil-Creme 0,5%:
                  • Zytostatikum, Antimetabolit
                  • 2× tgl. Auftragen bis zum vollständigen Abheilen bzw. maximal 12 Wochen
                  • Therapieerfolg erst nach vollständiger Abheilung sichtbar, daher Evaluation erst 6–8 Wochen nach Therapieende sinnvoll
                  • Nebenwirkungen: Rötung, Brennen, Erosion (ggf. Therapiepause zwischendurch sinnvoll)
                  • Cave: Es ist ein Abstand von mindestens 4 Wochen zwischen der Behandlung mit 5-FU und einer Behandlung mit Brivudin (Herpes Zoster) erforderlich, da Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) durch Brivudin gehemmt wird und dadurch 5-FU nicht abgebaut werden kann.
                • Imiquimod-Creme 5%:
                  • Toll-like-Rezeptor-(TLR-)7-Agonist
                  • 3× pro Woche über Nacht auftragen, insgesamt für 4 Wochen, ggf. weitere 4 Wochen fortführen bei Therapieresistenz
                  • Evaluation der Wirksamkeit nach 6–8 Wochen und ggf. erneuter Zyklus
                  • Nebenwirkungen: Rötung, Schwellung, Erosion, Herpes simplex, Kopfschmerz, Juckreiz, auch systemische Reaktion möglich mit Fieber; Anwendung daher nur bei immunkompetenten Patienten empfohlen
                  • Cave: Es handelt sich um einen Off-Label Use, da Imiquimod nur für aktinische Keratosen und Feigwarzen zugelassen ist; gerade aber bei HPV-Ätiologie ist eine Wirksamkeit wahrscheinlich.

                 

                Strahlentherapie

                • Strahlentherapie ist bei inoperablen Patienten bzw. Kontraindikation möglich, jedoch nicht als besonders wirksam beschrieben.
                • Die Gefahr eines Strahlenulkus besteht insbesondere an den Extremitäten wie etwa den Fingern.
                • Auch Weichstrahltechnik kommt ab und zu noch zum Einsatz.

                 

                Nachsorge

                • Es existiert kein festgelegtes Nachsorgeschema, da das Krankheitsausmaß und der Verlauf sehr unterschiedlich sein können. Eine Vorstellung beim Hautarzt sollte jedoch mindestens einmal jährlich erfolgen. Dies dient zur Früherkennung von PEK und weiteren Tumoren.
                • Eine Anleitung zur Selbstuntersuchung bzw. die Unterweisung Angehöriger ist sinnvoll.

                 

                Verlauf und Prognose

                • Unbehandelt wird der Morbus Bowen meist in ein Bowen-Karzinom (aggressives PEK mit häufigerer Metastasierung) transformiert.
                • Die Patienten sollten dahingehend aufgeklärt werden, dass regelmäßiger oder wiederkehrender Behandlungsbedarf bestehen wird durch weitere (UV- oder HPV-induzierte) Tumoren.

                 

                Prävention

                • regelmäßiger UV-Schutz (Meiden der UV-Spitzen, Textilien, UV-Schutz in Form von Cremes etc. [Lichtschutzfaktor LSF 50+])
                • Schutz vor Arsenexposition
                • Impfung gegen HPV

                 

                Synonyme

                • Bowen‘s Disease (engl.)
                • Carcinoma in situ vom Typ Morbus Bowen
                • In-situ-Plattenepithelkarzinom (PEK) vom Typ Morbus Bowen
                • Dyskeratosis maligna

                Keywords

                • Non-Melanoma Skin Cancer (NMSC)
                • weißer Hautkrebs
                • ICD10:D04

                 

                Quelle

                Lang B. Morbus Bowen. In: Ludwig R, Boehncke W, Hrsg. Referenz Dermatologie. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2023. doi:10.1055/f-0037-0001-b000000424

                Literatur

                • [1] Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG), Deutsche Krebshilfe (DKH). Leitlinienprogramm Onkologie. S3-Leitlinie Aktinische Keratose und Plattenepithelkarzinom der Haut. Kurzversion 2.0. Dezember 2022. AWMF-Registernummer: 032/022OL. Im Internet: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/032-022OL; Stand: 31.12.2022
                • [2] Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), Deutsche Krebsgesellschaft e.V. (DKG), Deutsche Krebshilfe (DKH). Leitlinienprogramm Onkologie. S3-Leitlinie Prävention von Hautkrebs. Langversion 2.1. September 2021. AWMF Registernummer: 032/052OL. Im Internet: www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Hautkrebspraeventationsleitlinie; Stand: 24.11.2021

                 

                Herausgeber*innen, Autor*innen

                Herausgeber*innen: Prof. Dr. Ralf Ludwig, Prof. Dr. med. Wolf-Henning Boehncke
                Autor*innen: Berenice M. Lang

                Letzte Änderung:

                eRef-Link: https://eref.thieme.de/ebooks/cs_22145913?#/ebook_cs_22145913_cs49397